Habe das Buch vorhin unregistriert im OBCZ-Regal in der Neuen Börse vorgefunden. Werde es erstmal selber lesen und dann fertig etikettiert wieder an Ort und Stelle freilassen (oder zum Meetup mitbringen).

Auf jeden Fall das beste Buch von Coelho, das ich bislang gelesen habe. Anders als sonst geht es nicht darum, das Richtige oder das Falsche, sondern das Gute oder das Böse zu tun. Damit kommt eine dezidiert moralische Dimension ins Spiel, und das ist gegenüber der leicht naiven Schönwetterphilosophie z.B. des Alchimisten jedenfalls schonmal ein erheblicher Fortschritt.

Inhaltlich ist die Geschichte durch Dürrenmatts Drama Besuch der alten Dame inspiriert, auf das Coelho im Text explizit Bezug nimmt und das er inhaltlich sogar noch zuspitzt. Während Claire Zachanassian immerhin noch persönliche Gründe hat, sich speziell an der Stadt Güllen und ganz besonders an ihrem Jugendfreund Ill zu rächen, ist es bei Coelho der reine Zufall (oder die Willkür des fremden Besuchers), der das Dorf Bescos zum Schauplatz des Geschehens macht, und die Täter dürfen sich ihr Opfer selbst aussuchen: Gold für einen Mord, egal an wem, so lautet das an Perfidität kaum noch zu steigernde Angebot des geheimnisvollen Fremden.

Erfreulicherweise vermeidet Coelho jegliche Schwarzweißmalerei: Der Fremde, die alte Berthe, Chantal, selbst der Priester - für sie alle können wir wenn nicht Sympathie, so doch zumindest Verständnis aufbringen. Nicht zuletzt aufgrund dieser interessanten Figuren ist die Entwicklung der Story sehr gelungen und durchaus spannend, wobei Coelho allerdings weder die inhaltliche Tiefe noch die analytische Schärfe seines schweizer Vorbildes erreicht. Enttäuschend dagegen das unspektakuläre, geradezu lapidar anmutende Ende: Sollte sich das Böse wirklich allein durch Einsicht und gesunden Menschenverstand eindämmen lassen? Dafür wie auch für die alberne Posse mit dem versagenden Schutzengel gibt''s Punktabzug.

Sie zögerte und überlegte, ob sie dem Mann, der ihr Feind war, vertrauen konnte oder nicht. Da fiel ihr ein Buch über chinesische Kampfkunst ein - sie las immer alles, was die Gäste im Hotel vergaßen, worum auch immer es ging, denn sie mochte kein Geld für Bücher ausgeben.

RELEASE NOTES:

Zum 60. Geburtstag des Autors.